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Jahresmedieninformation 2016 des Sozialgerichts Freiburg

vom 30.06.2016

 

Allgemeine Informationen

Das Sozialgericht Freiburg ist nach Zahl der Beschäftigten und Geschäftsanfall das größte Sozialgericht Badens und das zweitgrößte Baden-Württembergs. Sozialgerichte sind besondere Verwaltungsgerichte und für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zuständig. Dabei handelt es sich meist um Streitigkeiten zwischen Bürgern und Behörden, insbesondere in den Bereichen Sozialversicherung, Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II oder umgangssprachlich „Hartz IV“), Sozialhilfe, soziales Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht. Örtlich ist das Sozialgericht Freiburg für Klägerinnen und Kläger aus der Stadt Freiburg sowie den Landkreisen Ortenaukreis, Emmendingen, Breisgau-Hochschwarzwald, Lörrach und Waldshut zuständig. In Knappschaftsangelegenheiten (Sozialversicherung für den Bergbau) ist es sogar das Gericht erster Instanz für ganz Baden-Württemberg. Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist u.a. für Versicherte, Leistungsempfänger und behinderte Menschen gerichtskostenfrei; die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist nicht vorgeschrieben.

Eine relativ hohe Erfolgsquote ist für Klagen vor dem Sozialgericht nicht ungewöhnlich. So endeten im Jahre 2015 rund 36% der abgeschlossenen Klageverfahren, also mehr als jedes dritte, mit einem vollständigen oder teilweisen Obsiegen der klagenden Bürger und Bürgerinnen. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2016 hat sich diese Quote sogar auf knapp 50% erhöht. Mehr erfolgreiche Klagen gab es insbesondere im Kranken- und Rentenversicherungsrecht, aber auch bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende und im Schwerbehindertenrecht. Hier sowie im Sozialhilferecht war bereits im Vorjahr rund jede zweite Klage ganz oder teilweise erfolgreich. Selbst im Rechtsgebiet mit der niedrigsten Erfolgsquote, der gesetzlichen Unfallversicherung, endete 2015 fast jede vierte Klage zumindest mit einem Teilerfolg.

 

Trotz höherer Arbeitsbelastung dauern die Verfahren nicht länger

Die durchschnittliche Dauer der Klageverfahren blieb 2015 mit 12,3 Monaten unverändert (die Verfahrensdauer im Einzelfall hängt in erster Linie von Art und Umfang der erforderlichen Ermittlungen ab und variiert daher stark). Dies ist umso bemer-kenswerter, als die Arbeitsbelastung des Gerichts gestiegen ist:

Zwar sind im Jahr 2015 beim Sozialgericht Freiburg lediglich 4,7% mehr Klagen als im Kalenderjahr davor eingegangen (5276 statt 5040). Höher war der Anstieg allerdings bei den Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz, nämlich um 11,1% (770 bzw. 693). Zugleich verfügte das Gericht 2015 im Jahresdurchschnitt wegen personeller Veränderungen (insbesondere aufgrund von Elternzeiten) über eine volle Richterstelle weniger als 2014 (17,42 statt 18,42). Im Durchschnitt entfielen daher auf jede(n) in Vollzeit beschäftigten Richter/in 347 neue Verfahren (Klagen und einstweiliger Rechtsschutz) gegenüber 312 im Jahr 2014. Dies entspricht einem weiteren Anstieg um über 11%, nachdem die Pro-Kopf-Belastung bereits in den Vorjahren gestiegen ist. Mit diesem Arbeitsanfall pro Richterstelle lag das Sozialgericht Freiburg an der Spitze aller baden-württembergischen Sozialgerichte (Landesdurchschnitt 303 Verfahren). Obwohl auch die Zahl der pro voller Richterstelle erledigten Verfahren im vergangenen Jahr gesteigert werden konnte (von 315 im Jahre 2014 auf 329), erhöhte sich daher der durchschnittliche Bestand einer Vollzeitkammer an unerledigten Verfahren zum 31.12.2015 um 12,5% auf 314 (Stand 31.12.2014: 279).

 

„Hartz IV“-Klagen 2015 weiter auf hohem Niveau

Auch im elften Jahr nach der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende stammten die meisten neuen Verfahren aus dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitssuchende („Hartz IV“),nämlich 2280. Das entspricht einem Anteil von fast 38% am Gesamtaufkommen. Gegenüber 2014 haben sich zwar sowohl Anzahl als auch Anteil dieser Verfahren leicht verringert (2423 bzw. 42%). Die Grundsicherung für Arbeitssuchende wird jedoch voraussichtlich auch in naher Zukunft das zahlenstärkste Rechtsgebiet bleiben. Nach wie vor sind zahlreiche für Arbeitslosengeld-II-Bezieher wichtige Rechtsfragen nicht abschließend geklärt und daher immer wieder Gegenstand von Klagen (siehe Kästen am Ende).

Am zweithäufigsten wurde 2015 gegen Entscheidungen der Krankenkassen geklagt, nämlich 1117 mal (2014: 548). Die gesetzliche Krankenversicherung hat damit die gesetzliche Rentenversicherung überholt, wo die Verfahrenseingänge in etwa stabil blieben (2015: 895, 2014: 931). Das Gleiche gilt für die nächststärksten Gebiete Schwerbehindertenrecht (541 Verfahren), Sozialhilfe (402) sowie Arbeitslosen- und gesetzliche Unfallversicherung (267 bzw. 260).

 

Typische Probleme beim Arbeitslosengeld II

Das Sozialgericht Freiburg hatte und hat sich u.a. mit folgenden höchstrichterlich noch nicht geklärten Fragen zu befassen:

Versicherungsfreibetrag für Minderjährige?

Die alleinerziehende Frau A und ihre zehnjährige Tochter T beziehen Ar-beitslosengeld II. Das Kindergeld für T wird vom Jobcenter in voller Höhe als Einkommen angerechnet, d.h. die Leistungen werden um 184 Euro monatlich gekürzt. A ist der Auffassung, es müsse vom Kindergeld die Versicherungspauschale gemäß § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II und § 6 Abs. 1 Nr. 2 AlgIIV abgezogen werden und T daher monatlich 30 Euro mehr erhalten, da sie für T eine Schülerzusatzversicherung beim Badischen Gemeinde-Versicherungsverband (BGV) abgeschlossen habe (Beitrag einmalig 1 Euro pro Schuljahr). Das Jobcenter meint, es könne nicht sein, dass mit einem derart geringen Einsatz um bis zu 30 Euro monatlich höhere Leistungen erzielt werden.

Vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg haben A und T Erfolg gehabt (Urteil vom 17.11.2015, Az. L 13 AS 3773/14). Nun ist das Verfahren beim Bundessozialgericht anhängig (Az. B 4 AS 59/15 R).

Elterngeld und Arbeitslosengeld II

A und B freuen sich über die Geburt ihres Sohnes und die Bewilligung von 300 Euro Elterngeld monatlich. Als das Jobcenter das Arbeitslosengeld II um diese Summe kürzt, sind sie sehr enttäuscht. Ob die seit 1.1.2011 geltende volle Anrechnung des Elterngeldes rechtmäßig, insbesondere verfassungsgemäß ist, wird demnächst das Bundessozialgericht entscheiden (Az. B 4 AS 25/15 R, B 14 AS 28/15 R).

Kosten der Unterkunft

Herr B wohnt im Umland von Freiburg und muss Arbeitslosengeld II beantragen. Das Jobcenter ist der Auffassung, seine Wohnung sei unangemessen teuer und fordert ihn zur Senkung der Kosten, z.B. durch Umzug auf. Andernfalls erhalte er nach sechs Monaten nur noch Leistungen für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). B will die vertraute Wohnung nicht aufgeben und sorgt sich, die Miete nicht mehr bezahlen zu können, wenn das Jobcenter seine Ankündigung umsetzt.

Das Bundessozialgericht hat strenge Anforderungen für das Verfahren zur Feststellung der (abstrakten) Angemessenheitsgrenze aufgestellt. Für große Teile des Gerichtsbezirks existieren bislang noch keine höchstrichterlich anerkannten Mietobergrenzen (vgl. hierzu z.B. BSG-Urteil vom 16.06.2015, Az. B 4 AS 44/14 R). Aber auch die Frage, ob Leistungsempfänger trotz Bemühungen keine zumutbare konkrete Unterkunftsalternative finden konnten, ist häufig Streitgegenstand.

Aufrechnung von Mietkautionsdarlehen mit Leistungsansprüchen?

B hat vom Jobcenter ein Darlehen über 800 Euro erhalten, um die Kaution für seine neue Mietwohnung aufbringen zu können. Im nächsten Bewilligungsbescheid kündigt das Jobcenter an, das Darlehen ab sofort durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10% der Regelleistung zu tilgen. B hält dies für grundgesetzwidrig, weil die Regelleistung ohnehin schon das Existenzminimum darstelle.

Auch über diese Frage ist ein Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht anhängig (Az. B 4 AS 14/15 R).

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